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Man
gibt mich auf, dennoch bemühen sich die Ärzte,
mich doch noch zu operieren, obwohl man nicht weiß,
ob ich die Operation überlebe und was zurück
bleibt. Als ich nach der ersten Operation aus dem Koma
erwache, merke ich, dass ich nicht mehr Sprechen
kann. Für mich beginnt, wie ich meine, ein sinnloses
Dasein. Ich gebe mich auf: nicht laufen und den
Arm nicht bewegen zu können und was das Schlimmste
für mich ist, nicht sprechen zu können.
Ich will resignieren, aber mein Arzt macht mir begreiflich
ihm, dass alles sich bessern würde, und dass
man sich nicht aufgeben darf. Ein Sprachtherapeut
kommt und macht mit mir den Aachener Aphasie Test (AAT),
der eine globale Aphasie ergibt. Mit allen erdenklichen
Mitteln versuche ich das Sprechen wieder neu zu erlernen,
was sich allerdings als sehr mühsam herausstellt.
Nach Wochen kommt das erste Wort, was mich ermutigt
weiter zu machen, so dass das Aufgeben für
mich nicht mehr in Frage kommt. |
Mit meinem
Arzt versuche ich zu schreiben, was aber auch wegen der Aphasie
nicht möglich ist. Nach der zweiten Operation, drei Monaten
nach der Hirnblutung, kommt mein erster Satz: "Ich kann!"
und ich erkenne, dass wenn man will, sich das man das Sprechen
sich erneut aneignen kann.
Meine
Sprachtherapeutin legt ein Heft mit Sprechbewegungsbildern
an, in dem auch eine schriftliche Erklärung ist,
wie die Position von Mund und Zunge sein muss.
In der Frühförderung versuche ich zu rechnen,
was sich aber auch als sehr schwierig erweist. In der
Schreibgruppe vervollständige ich einfache Sätze.
Mit der Zeit wird das sich "Mitteilen" immer
besser, aber für mich immer noch nicht gut genug.
Ich kann mich zwar schon in kurzen, knappen Sätzen
unterhalten, dennoch ist das Artikulieren weiterhin
sehr mühsam und ich traue mich nicht, andere anzusprechen.
Erst als ich Geburtstag habe und in der Ergoküche
einen Kuchen bestellen möchte, komme ich zu der
Einsicht, dass die anderen wegen meiner Sprache
sich nicht über mich lustig machen, und wenn doch,
dass man darüber stehen muss und sich
sagen: "Die wissen das nicht besser!" |
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3+4=8
Vergraben und verschüttet
sind meine Worte
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Nach
dem sich bis April vieles gebessert hat, komme ich,
immer noch in Hess. Oldendorf, in die klinische Pädagogik,
wo ich anspruchsvollere Aufgaben bestehen muss,
sowohl in Mathematik als auch in Deutsch. Jetzt
merke ich, dass auch das Lesen ebenfalls erschwert
ist, das Erfassen und Verstehen von Texten, was nur
vermehrt geübt wird. Am 4. August 1990 ist meine
Blutung ein Jahr her und in seinen Garten findet ein
Fest statt: das Einjährige nach dem Unglücksfall.
Ich kann mich jetzt bedeutend besser artikulieren und
hoffe, dass mein Sprechen im Laufe der Zeit noch
besser wird. Mittlerweile laufe ich ohne Stock,
während sich der Arm noch nicht erholt hat. Der
nochmals gemachte Aachener-Aphasie-Test zeigt, dass
die globale Aphasie der Vergangenheit angehört.
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3+4=8
Vergraben und verschüttet
sind meine Worte
Was
man durch gezielte und intensive Therapie erreichen
kann, wird in dem Buch anschaulich geschildert. Wieviel
sich seit der Blutung gebessert hat, kann man leicht
gegenüberstellen: Ich kann sich jetzt wieder mitteilen,
laufen, Auto fahren und mehrere verschiedene Kleinigkeiten,
die sein Dasein erträglich machen, womit anfangs
keiner gerechnet hat. Es gibt aber auch einiges, was
ich nicht mehr gut kann, wie zum Beispiel lesen. Da
sind noch ein paar Kleinigkeiten, mit denen ich leben
kann - oder besser leben muss. Der Sinn dieses
Buches ist, anderen Aphasikern Mut zu machen, sich nicht
aufzugeben, und denen, die mit Aphasikern umgehen müssen,
Angehörigen, Therapeuten und Interessierte, einen
Einblick zu geben, was ein Aphasiker durchmacht.
Auch derjenige, der von dieser Krankheit noch nie gehört
hat, vermittelt das Buch eine Vorstellung, die er nicht
vergisst. |
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In
meinen zahlreichen Lesungen, u. a. auf den Würzburger Aphasietagen,
in der Universitäten Stuttgart
und Bielefeld, Logopädenschulen, Physiotherapeutenschulen,
Krankenplegeschulen und in Selbsthilfegruppen etc. hat das Buch
"3+4=8" große Aufmerksamkeit geweckt. |